Recap Eröffnung „die gärten von morgen – erinnern, pflegen, weiterdenken“

Recap Eröffnung „die gärten von morgen – erinnern, pflegen, weiterdenken“

28.09.2025

Demokratie, Verantwortung und Pragmatismus

Bezirksstadtrat Christopher Schriner eröffnete den Abend mit einem ehrlichen, ungeschönten Blick auf die Herausforderungen kommunaler Umwelt- und Grünflächenpolitik. Im Spannungsfeld zwischen Denkmalschutz, Pflegekosten und gesellschaftlichen Erwartungen, so Schriner, haben die aktuellen Krisen nicht nur ökologische, sondern auch demokratische Dimensionen.

  • Für die öffentlichen Grünanlagen stehen dramatisch knappe Pflegebudgets zur Verfügung – teils nur „fünf bis acht Cent pro Quadratmeter und Jahr“!

  • Angesichts von Haushaltskürzungen forderte er „informierten Pragmatismus statt Ideologie“: Es müsse Räume zum Experimentieren, Ausprobieren, Weiterentwickeln geben.

  • Er erinnerte daran, dass Berlin-Mitte „fertig gebaut“ sei – die Zukunft liege in der Qualifizierung des Bestands, nicht im Neubau.

  • … und schloss mit dem Appell: Es braucht mehr Mut, mehr Kooperation zwischen Verwaltung, Fachleuten und Öffentlichkeit – und die Bereitschaft, Pflege und Unterhalt als Teil der politischen Gestaltung zu begreifen.

Geschichte und Idee der Nachkriegsmoderne – und die Gartenkonzepte des Hansaviertels

Der Landschaftsplaner und Gartenhistoriker Bernd Krüger schlug die historische Brücke zur Entstehung des Hansaviertels und zeigte, wie stark die Ideale der Nachkriegsmoderne bis heute nachwirken.

  • Das Hansaviertel entstand als „Stadt von morgen im Grünen“, als bewusster Bruch mit der Enge der Gründerzeit und Ausdruck eines gesellschaftlichen Neuanfangs.

  • Die Interbau 1957 war nicht nur Architekturausstellung, sondern ein soziales und politisches Statement – Wohnen als demokratisches Gut.

  • Krüger betonte, dass viele traditionelle Elemente – Naturstein, handwerkliche Gestaltung, vegetative Komposition – bewusst weiterverwendet wurden, um, bei aller Neuheit, Vertrautheit und Beständigkeit zu vermitteln.

  • Leitfigur war Walter Rossow, der die Idee der „Stadtlandschaft“ prägte: In seinem Konzept fungierte das Grün als verbindendes, atmendes Element zwischen den Baukörpern und dem nahegelegenen Tiergarten.

  • Die Freiräume dienten weniger der Nutzung als der Wahrnehmung: Der Blick ins Grüne wurde zum modernen Wohnluxus.

  • Die gestalterische Maxime „Der Mensch in der grünen Großstadt“ verband Leichtigkeit, Farbe und Offenheit – umgesetzt von Teams aus Landschaftsarchitekt:innen wie Mattern / Pechère, Hammerbacher / Jacobson oder Lüttge / Porcinai.

  • Heute, so Krüger, stehe das Hansaviertel zwischen Bewahrung und Überwucherung: Verdichtung, Wildwuchs und Pflegefragen bedrohen das ursprüngliche Raumgefühl der offenen Wohnlandschaft.

  • Mit dem Begriff des „Trostgrüns“ erinnerte er an die psychologische Dimension von Grün in der Nachkriegszeit – als sichtbares Zeichen des Überlebens und des Neubeginns.

„Die Natur muss gefühlt werden“ – über Stadtklima und räumliche Qualität

Prof. Elisabeth Endres von der TU Braunschweig lenkte den Blick auf die drängendste Herausforderung der Gegenwart: die Anpassung unserer Städte an Hitze und Klimawandel – ohne die Baukultur zu verlieren.

  • Sie warnte eindringlich vor der Zunahme von Hitzetagen und tropischen Nächten, die in Städten lebensbedrohliche Ausmaße annehmen.

  • Technische Lösungen allein reichten nicht aus – entscheidend sei die räumliche und sinnliche Qualität: „Wir müssen die Stadt wieder fühlen lernen.“

  • Endres plädierte für einen ganzheitlichen Ansatz, der Klima, Gestaltung und soziale Wirkung zusammendenkt.

  • Begrünung dürfe nicht zum Selbstzweck werden – etwa bei technisch überladenen „grünen Fassaden“ –, sondern müsse mit Maß und Verständnis eingesetzt werden.

  • Anhand des Biennale-Beitrags für den deutschen Pavillon bei der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig, für den sie mit verantwortlich zeichnet, zeigte sie, wie sich Hitze erlebbar und spürbar machen lässt, um Bewusstsein zu schaffen.

  • Ihr Fazit: „Wir wissen so viel – und handeln oft so falsch.“ Nur wenn Menschen Klimawandel fühlten, könnten sie Veränderung mittragen.

Regenwasser als Ressource – wassersensible Stadtgestaltung

Lena Flamm, Landschaftsarchitektin und Geschäftsführerin des Büros bgmr, schloss mit einem praxisnahen, zukunftsorientierten Vortrag über wassersensible Stadtentwicklung an.

  • Hitze, Starkregen und Dürre seien drei Ausdrucksformen derselben Störung: eines unterbrochenen Wasserkreislaufs in der Stadt.

  • Regenwasser müsse künftig als Ressource begriffen werden – nicht als Abfallprodukt.

  • Ihr Ziel: blau-grüne Städte, die Wasser speichern, Pflanzen versorgen und Verdunstung fördern – also sich selbst kühlen können.

  • Sie zeigte Beispiele von Verdunstungsbeeten, Zisternen und erweiterten Baumscheiben, die Wasser länger im System halten.

  • Kooperation sei dabei entscheidend: Verkehrs-, Bau- und Grünflächenplanung müssten gemeinsam denken.

  • Auch für das Hansaviertel eröffne sich hier ein Zukunftsfeld: Ziel sei eine denkmalgerechte Weiterentwicklung der Gartenarchitektur durch wassersensible Strategien.

Diskussion: Garten, Klima, Denkmal – ein neues Verständnis von Pflege

In der anschließenden Gesprächsrunde mit Gabriele Holst, Elisabeth Endres, Lena Flamm und Christopher Schriner zeigte sich, wie eng Denkmalschutz, Klimaanpassung und Alltagswahrnehmung miteinander verflochten sind.

  • Gabriele Holst stellte die neue denkmalpflegerische Zielplanung für das Hansaviertel vor und betonte, dass Gartenpflege immer prozesshaft sein müsse: „Ein Garten ist ein lebendiges System, kein museales Objekt.“

  • Pflege und Unterhalt müssten bereits in der Planung mitgedacht werden – eine der zentralen Botschaften auch von Christopher Schriner.

  • Die Teilnehmenden sprachen sich für ein neues Verständnis von „entwickelnder Gartendenkmalpflege“ aus: offen, experimentell, lernend.

  • Schriner erinnerte daran, dass Akzeptanz ein Schlüsselthema ist: „Wenn eine Fläche mal nass ist, gilt das sofort als Pflegemangel – dabei ist das das neue Normal.“

  • Endres ergänzte, dass es neben Emotion auch Daten und Messungen braucht, um sachlich über Licht, Schatten und Mikroklima zu entscheiden.

  • Am Ende stand ein gemeinsames Fazit: Klimaanpassung, Baukultur und gesellschaftlicher Wandel gehören zusammen – und sie gelingen nur im Dialog.

Fazit

Die Eröffnung der Werkstatt „gärten von morgen“ machte deutlich:
Das Hansaviertel ist mehr als ein Denkmal – es ist ein Labor für die Stadt von morgen.

Hier treffen Vergangenheit und Zukunft, Baukunst und Vegetation, Erinnerung und Experiment aufeinander.
Oder, mit den Worten von Goethe und Humboldt, die Elisabeth Endres zitierte:

„Die Natur muss gefühlt werden. Wer sie nur sieht, bleibt ihr ewig fremd.“

© Fotos: Uwe Goessel


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© 2025 interbau

Ein Projekt des interbau e.V. in Zusammenarbeit mit Offen für Kultur / Sonntagsprogramm der Hansabibliothek, im Rahmen des Festivals „Triennale der Moderne“, mit freundlicher Unterstützung durch das Landesdenkmalamt Berlin.

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